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Scheibe vs. Felge

Seit jeher lieben Memmen sinnlose Diskussionen und pflegen eine ausgeprägte Streitkultur. In einer Bierlaune entwickelte sich eine langsame aber kontinuierliche gemeinschaftliche Verhöhnung der gemeinen Felgenbremse. Christian und Oliver entschieden sich daraufhin zu einem ordentlichen Streitgespräch.

Pro Scheibenbremse

Pro Felgenbremse

Wir schreiben das Jahr 1845. Gerade hat Karl von Drais das erste Fahrrad – eigentlich ein Laufrad – erfunden. Schnell wird das Gefährt weiterentwickelt.

Schon 1870 ist das Hochrad zu bestaunen. Die Fahrt ist recht gefährlich, da der Schwerpunkt rund 1,50 m über dem Boden und direkt hinter dem Vorderreifen liegt. Gebremst wird durch langsameres Treten an den direkt am Vorderrad angebrachten Pedalen, bzw. über die Klotzbremse.

Klotzbremse:

Die Klotzbremse wirkt indem ein Gummiklotz von oben über ein Gestänge auf den Reifen gedrückt wird. Natürlich hängt die Bremswirkung sehr stark vom Zustand des Bremsklotzes und des Reifens ab. Bei einem platten Vorderrad war keine Bremswirkung zu erzielen.

Felgenbremsen:

Ab den 60er und 70er Jahren hielten dann Felgenbremsen Einzug in den Fahrradbau. Dabei werden zwei Bremsklötze an die Felgenwand gedrückt. Die Bremswirkung richtet sich hierbei vor allem nach dem Verschmutzungsgrad der Felge. Um überhaupt eine Bremswirkung zu erzielen, muss bei Nässe zuerst der Wasserfilm zwischen Felge und Bremsklotz weggebrannt werden. Erst dann kann sich die Bremsleistung entwickeln. Eine weitere Gefahr stellt die Materialabnutzung der Felge dar. Da bei jedem Bremsvorgang auch die Radfelge leicht abgeschleift wird, kann es zu Felgenbrüchen kommen. Es ist daher absolut notwendig die Wandstärke der Felge regelmäßig zu kontrollieren. Auch kann es vorkommen, dass sich bei starker Beanspruchung (z.B. lange Abfahrten im Gebirge) die Felge so stark aufheizt, dass schließlich der Schlauch durch die hohen Temperaturen in Mitleidenschaft gezogen wird und platzt. Auch stellt es sich oftmals als problematisch heraus die Felgenbremse richtig einzustellen. Die Position der Bremsklötze muss exakt sein und die Rückholfeder muss immer topp in Schuss sein. Sonst kommt es zu einem einseitigen Schleifen eines Bremsklotzes, bzw. zu einer schlechteren Bremsleistung durch zu weit eingestelltes Spiel zwischen Felge und Bremsklotz.

Scheibenbremse:

Die Scheibenbremse ist die jüngste Entwicklung im Fahrradbau. Bei der Scheibenbremse drücken zwei Kolben den Bremsbelag gegen eine Stahlscheibe. Durch dieses Prinzip ergeben sich sehr viele Vorteile: Die Bremsleistung ist unter allen Bedingungen der einer Felgenbremse überlegen (v.a. bei Regen und Schnee). Die Gefahr eines Zusammenbruchs der Felge gibt es nicht. Eine Überhitzung ist ausgeschlossen. Durch die mittlerweile moderne Konstruktionsform ist ein Schleifen der Bremse auch Vergangenheit. Da die Bremskolben sich selbstständig nachstellen und den Materialverlust der Bremsbeläge ausgleichen ist ein Nachlassen der Leistung, des Druckpunktes oder der Wirkung ausgeschlossen. Kurzum, die Scheibenbremse, deren Prinzip sich im Automobil- und Motorradbau erfolgreich durchgesetzt hat ist die Bremse der Wahl.

Also, warum fährt man noch eine Felgenbremse?

Man will sparen.

Am Gewicht, am Preis, an der Bremsleistung. Aber man verliert dabei an Sicherheit und Fahrvergnügen. Auch wenn im Normalfall die Bremsleistung der Felgenbremse ausreicht und man nicht jeden Tag den Mörder-Downhill fährt, ist eine hohe Bremsleistung gepaart mit einer hohen Standfestigkeit erstrebenswert. Schließlich fahren wir ja auch Full Suspension Bikes über Asphaltstrassen.

Man hat Bedenken die Bremse einstellen zu müssen.

Früher war das korrekte Einstellen der Scheibenbremse eine mühsame Quälerei. Spacerscheiben mussten eingesetzt und der Bremsbelagverschleiß musste per Hand nachgestellt werden. Heute allerdings sitzen die Bremskolben auf konischen Adaptern. Das genaue Justieren der Scheibe ist somit zum Kinderspiel geworden. Einfach Schrauben lösen, Bremse betätigen und Schrauben wieder festziehen. So einfach geht die Einstellung. Das Nachstellen der Bremsbeläge geht mittlerweile automatisch, so dass die Bremse praktisch wartungsfrei ist. Felgenbremsen sind da viel komplizierter einzustellen. Auch hier muss mit Spacern gearbeitet werden, bzw. die Bremsarme müssen per Augenmaß eingestellt werden. Um ein Schleifen zu verhindern werden dann gerne die Bremsklötze weit weg von der Felge positioniert. Dadurch verliert man zunächst einmal Bremskraft. Ist die Rückholfeder dann verschmutzt, wird nur ein Bremsklotz in die Ausgangslage zurückgezogen, während der zweite Bremsklotz weiter munter an der Felge schleift.

Man hat Angst die Gabel verwindet sich während des Bremsens und Federweg geht verloren.

Auch hier sei gesagt, dass die Federgabeltechnik weiter gegangen ist. Waren zunächst Federwege um 80 mm der Standard, sind heute Federwege von 140 mm üblich. Diesem Zuwachs an Federweg musste natürlich die Gabelkonstruktion Rechnung tragen. Mittlerweile sind alle Gaben so Verwindungssteif, dass sie die auftretenden Bremskräfte locker wegstecken können.

Man gehört zu den Retro-Typen, die nicht jede technische Weiterentwicklung mitmachen wollen und der ganzen Sache lange skeptisch gegenüber stehen.

Warum dann die Halbherzigkeit? Weg mit dem Dämpfer, es gibt kaum eine Abfahrt auf der eine Hinterradfederung gebraucht wird. Austausch der Federgabel gegen eine Starrgabel – früher hatte man auch keine Federung. Ein bisschen vorrausschauendes Fahren und man kann jede Stelle meistern. Außerdem wird keine Kraft mehr in die Federung getreten. Schaltung? Das ist was für Mädchen. Eine klare Kettenführung bei einem Gang ist ausreichend. Der Freilauf kann dann ebenfalls abgeschafft werden. Wir wollen ja treten und nicht rollen. Rasch noch die Funktionsbekleidung gegen schöne Baumwolle getauscht und schon sind wir wieder im Jahre 1960. Und dann haben wir endlich wieder die Mutter aller Bremsen – die Klotzbremse.

... und warum eine Scheibenbremse?

Der Scheibenbremser outet sich als moderner, aufgeschlossener Biker. Er ist jung und sportlich. Er will auch an seinem Bike zeigen, dass er den technischen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen ist. Er zeigt – wie seine Bremse – Biss und scheut sich nicht das Hinterrad mal lupfen zu lassen. Gleichzeitig repräsentiert die Scheibenbremse Schnelligkeit. Staub und Schmutz auf der Scheibe verstärken diesen Eindruck noch. Klingt es manchmal doch so als würde die Fleischereifachverkäuferin im rasantesten Akkord Salamischeiben schneiden. Nur durch eine monströse Scheibe kann man den Herausforderungen der Abfahrten Herr werden. Man ist kein Bremser oder Stauer, man kann es laufen lassen. Wenn dann nach einem rasanten Downhill die Scheibe rot glühend ist, zeigt sich der wahre Held und Könner auf dem Bike.

Der Felgenbremser kommt dagegen wie ein angestaubter Senior daher. "Auf der Felge kauen" ist doch das Synonym für Antiquiertheit. Schnelligkeit sieht anders aus. Biss zeigt der Felgenbremser eigentlich nur an seinem Gebiss bei Abfahrten. Angstvoll achtet er mit fest geschlossenen Zähnen auf alle Anzeichen eines Felgenbruchs oder eines Reifenplatzers durch Überhitzung.

Das dröge, monotone Schleifen eines Bremsklotzes lässt zudem nur Bilder des Versagens auftauchen. Helden sehen anders aus.

In diesem Sinne

Scheibenbremse ans Bike

Christian

Seit Jahren freue ich mich über jedes neu gekaufte Mountainbike im Freundeskreis doppelt: einmal mit dem Käufer und einmal wegen meiner heißgeliebten vollhydraulische Felgenbremse. Die Magura HS33, ein Klassiker, ein Meisterwerk schwäbischer Ingenieurskunst, wird seit mittlerweile 20 Jahren nahezu unverändert produziert und von Zeit zu Zeit lediglich geringen kosmetischen Faceliftings unterzogen. Hier mal ein Schalthebel in Titanium-Optik und modischem Rot, dort ein Brakebooster in neuem Blau. Von Anfang an eine Konstruktion, die an Einfachheit und Zuverlässigkeit einfach nicht zu überbieten ist. Und das trotz überzeugender Leistung. Bei nur 460g Gewicht bietet sie unbändige Bremsleistung. Konzipiert nach dem Zero-Maintenance-Prinzip. Einmal montiert, nie wieder anfassen – außer zum Bremsbelagwechsel, der in Sekundenschnelle durchgeführt wird. Kein Ölwechsel, keine Entlüftung, kein Seilzugwechsel.

Natürlich wurde die Felgenbremse nicht für übermütige und lebensmüde Downhiller konzipiert, die unsere Krankenkassenbeiträge durch wahnsinnige Manöver und deren Folgebehandlungskosten Jahr für Jahr irrsinnig steigen lassen. Der gedachte Einsatzzweck ist Cross-Country, eben jener Sport- und Spaßbereich, den wir Outdoormemmen hauptsächlich ausloten. Aber auch auf Alpenüberquerungen und gediegenen Gebirgstouren ist die HS33 stets ein treuer Begleiter.

Zugegeben, die Scheibenbremse ist mittlerweile nicht nur beim KFZ und Krad bewährt, sondern hat auch beim MTB die unangefochtene Systemführerschaft übernommen. Aber seit wann ist Masse denn ein Beweis für Klasse? Und äußere Werte wie Schönheit haben bekanntlich schon oft getäuscht: die Mücke geht der Venusfliegenfalle ja auch auf den Leim.

Mountainbiken ist ein Synonym für „im Einklang mit der Natur Sport treiben“. Man genießt die Landschaft und Tierwelt, lauscht dem Plätschern des Baches, dem Rascheln der Bäume. Im Einklang mit der Natur bedeutet hier die Luft, das Aussehen und die Geräusche von Wald und Bergen aufzunehmen.

Dabei stört das nervende Geräusch einer schleifenden Scheibenbremse enorm. Wie das Fling, Fling, Fling einer Wurstschneidemaschine an der Fleischtheke im Supermarkt, begleitet den verzückten Scheibenbremsenfanatiker ein permanentes Störgeräusch auf seinen Ausfahrten. War man eben noch eins mit dem Bike und der Natur, sieht man sich gedanklich plötzlich mit dem freundlich lächelnden Gesicht der Fleischereifachverkäuferin konfrontiert, die mit dackelartigem „Darf’s auch ein bissel mehr sein?“-Grinsen die Befürchtung nährt, dass das Geschleife exponential mit den zurückgelegten Geländekilometern zunehmen wird. Während Tiere bereits frühzeitig vor diesem mittel- bis hochfrequenten Gejaule flüchten, sich selbst tinnitusgeplagte Filigranakustiker genervt und belästigt fühlen, verdrängt der Scheibenbremsenfahrer diese neuzeitliche Folter meistens mit dem Gedanken an die brachiale Bremsgewalt.

Die Segnungen der Technik haben Fahrkomfort und Fahrsicherheit in den vergangenen Jahren kontinuierlich verbessert. Auch die Scheibenbremse hat Ihren Teil dazu beigetragen. Doch manche Modelle fordern dem ungeübten Fahrer zuviel Fingerspitzengefühl ab. So hat nach unbestätigten Gerüchten in den vergangenen 4 Jahren die Anzahl der Halswirbel-Schleudertraumas nach unfreiwilligen über den Lenker gestarteten Flugstunden um 27% zugenommen. 

 

Unbestritten trägt die Scheibenbremse zur gestiegenen Kommunikation bei:

  • „Schleift das bei Dir oder bei mir?“
     
  • „Hast Du deine Scheibe schon zum Glühen gebracht?“ „Nein, seit ich die ultradünn beschichtete CNC-gefräste 317er Megasize-Vrakasium-Scheibe aufgezogen habe nicht mehr.“
     
  • „Nach der Abfahrt vom Monte Baldo bin ich versehentlich an meine Scheibe gekommen. Das Branding in der linken Wade sieht voll geil aus. Jetzt muss ich mir nur noch den Zahnkranz in die rechte Wade tätowieren lassen.“

Auch im praktischen Handling ist die Felgenbremse der Scheibe maßlos überlegen. Welcher Scheibenbremser hat sich nicht schon mal ein paar Bremsbeläge ruiniert, als er das erste Mal bei ausgebautem Vorder- oder Hinterrad, absichtlich („Nein, oh Du mein Bikehändler, ich wollte es nicht glauben und habe es deshalb ausprobiert!“) oder versehentlich („Ich habe es doch nicht gewusst!“) an den Bremshebeln gezogen hat. Schon kleben die Beläge so zusammen, dass man sie wegschmeißen kann. Da freu ich mich doch wie ein Schnitzel. Bei einer Felgenbremse passiert das nicht. Ein Brake Pad Security Kit Version 2008 (= Abstandshalter gegen Bremsbelagverklebung) mit 12 Monaten Updates gegen unbedachtes Bremshebelziehen im falschen Moment ist da absolut überflüssig.

Doch wie so oft ist überlegene Technik nicht zwangsläufig auch dauerhaft überlebensfähig. Ausrottungsversuche nehmen beständig zu. Die Felgenbremse wurde neulich von der WBF (World Bikelife Foundation) auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Bikeparts gesetzt. So sind aktuelle Rahmen und Gabeln häufig nicht mehr mit Sockeln für den Anbau von Felgenbremsen erhältlich. Insbesondere die von mir begehrten und beäugten Fox Talas Modelle sind absolut felgenbremsenresistent. Das schmerzt. Daher rufe ich alle Hersteller und Händler, Biker und Bikerinnen auf: Schließt Euch der Aktion „Rettet die vollhydraulische Felgenbremse“ an. Besinnt Euch auf die Vorteile der HS33. Nie wieder nervendes Gequietsche. Keine schleifenden Scheiben mehr. Für günstige Anschaffungspreise und Folgekosten. Gute Bremsleistung muss auch weiterhin zu einem guten Preis erhältlich sein. Sonst sind auch Radfahrer bald auf die Wiedereinführung der Pendlerpauschale ab dem 1. Kilometer angewiesen.

Magura HS33. Nicht kaputt zu kriegen. Die beste Felgenbremse am Markt. Und einer Scheibenbremse absolut ebenbürtig. Ganz klar mein Favorit.

Oliver

P.S. Sollten Magura und Fox sich zu einer gemeinsamen HS33 Rettungsaktion entschließen, biete ich mich selbstredend hiermit als Testfahrer an.